Ulrich Roloff-Momin: Zuletzt Kultur

1997 habe ich unter dem Titel

ZULETZT : KULTUR

im Aufbau-Verlag einen „Rechenschaftsbericht“ über meine Amtszeit als Kultursenator vorgelegt,
getreu dem Motto: „Was falsch passiert ist, muß eben richtig erzählt werden“ (Wilhelm Röpke)

Das Echo in der Berliner Lokal-Presse fiel erwartungsgemäß aus. Es hagelte Verrisse. Schließlich wollte es sich kein Journalist mit den Noch-Herrschenden verderben. Und mein Buch etwa gut finden. Ich hatte nämlich kein Blatt vor den Mund genommen und „aus dem Nähkästchen geplaudert.

Das Publikum reagierte anders und hob das Buch schnell auf die Berliner Bestsellerliste. Von wo es sofort wieder verschwand, aus den meisten Buchhandlungen übrigens auch. Freunde, die es kaufen wollten, erhielten immer wieder den Hinweis; „Vergriffen“. Obwohl sich in den Auslieferungslagern oder im Verlag die Bücher häuften. Es wurde boykottiert.

Die überregionale Presse reagierte auch positiver; wie der folgende Artikel aus dem „Spiegel“ zeigt:

(Spiegel 40/97, lokale Version hier):

Elegant im Regen

In seinen Erinnerungen geißelt der ehemalige Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin die Hauptstadtpolitiker als ignorante Banausen.

Als bei der Premiere der „Entführung aus dem Serail“ in der Deutschen Oper ein paar sparsam bekleidete und schwarz geschminkte Statisten die Bühne betreten, regt sich hinter dem Rücken des Berliner Kultursenators Ulrich Roloff-Momin gesundes Volksempfinden. „Und die bezahle ich alle!“, raunt der Kabinettskollege und Finanzsenator Elmar Pieroth erbost seiner Gattin zu. „Aber das wird sich ändern!“

Solche Prachtbeispiele für Geschmackssicherheit und kulturpolitischen Verstand sind für Roloff-Momin keine Überraschung mehr. Der bärtig-barsche Jurist, der von Januar 1991 bis Anfang 1996 als parteiloser, von der SPD nominierter Kultursenator eine vergleichsweise gute Figur machte, durfte solche Szenen mehr als einmal erleben. Und er behält sie nicht für sich.

Von der Großen Koalition als „Schiller-Theater-Mörder“ stigmatisiert und am Ende schnöde durch den Christdemokraten Peter Radunski ersetzt, hat Roloff-Momin die Zeit zum Schreiben genutzt: In seinen Ende Oktober erscheinenden Memoiren (Ulrich Roloff-Momin: „Zuletzt: Kultur“. Aufbau-Ver- lag, Berlin; 248 Seiten; 39,90 Mark.) skizziert er ebenso plastisch wie drastisch, auf welch vorzugsweise unterirdischem Niveau Berliner Politiker über Kultur debattieren und entscheiden.

Der vormalige Präsident der Hochschule der Künste zieht nicht nur Bilanz über den schwierigen Umgang mit den Kulturinstitutionen Ost-Berlins, sondern plaudert auch hübsch indiskret aus dem Nähkästchen der seit bald sieben Jahren Berlin verwesenden Großen Koalition. Mit der Offenheit eines Mannes, der keine politischen Ambitionen mehr hegt, konsolidiert er dabei die schlimmsten Vorurteile über den Provinzialismus der Hauptstadtpolitik.

Die erste Lektion, die Roloff-Momin schon unmittelbar nach seinem Amtsantritt lernt: Dem Senat kann kein kulturfremdes Problem unbedeutend genug sein, als daß es nicht ausführlichst erörtert werden müßte. So diskutieren seine Kabinettskollegen eine knappe Stunde engagiert über die weltbewegende Frage, ob eine im Brandenburgischen absolvierte Führerscheinprüfung in Berlin anerkannt werden soll.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen vergnügt sich monoton damit, schulmeisterlich jede Vorlage bis ins kleinste Detail – die Interpunktion inklusive – zu kommentieren. Kultur wird entsprechend der Numerierung der Einzelhaushaltspläne im Senat immer als Punkt 17 von insgesamt 18 Punkten der Tagesordnung aufgerufen. Und sobald dies geschieht, setzt allgemeine Unruhe ein. Für den Regierenden Bürgermeister sind Kulturtermine offenbar pure Fron. Als Eberhard Diepgen bei der Uraufführung der vom Neutöner Aribert Reimann komponierten Oper „Das Schloß“ Claudio Abbado, den Chef der Berliner Philharmoniker, entdeckt, hört Roloff-Momin Diepgen murmeln: „Daß der sich das antut!“

Obgleich Berlin bislang allein mit Kultur Metropolitanes zu bieten hat, steht sie in der Hierarchie der Hauptstadtpolitiker ganz unten. Während Roloff-Momin der CDU immerhin attestiert, daß sie „Kunst, die ihrem konservativen Weltbild entspricht“, ernst nimmt, erlebt er die Sozialdemokraten als klassische Kulturbanausen. „In der Prioritätenskala der SPD“, konstatiert er, „rangierte Kultur weit abgeschlagen nach dem Sozialen, nach der Wirt- schaft und öffentlicher Sicherheit.“ Die Genossen empfänden sie schlicht als Luxus, „der in finanziell engen Zeiten als erstes geopfert werden könnte“.

In den SPD-Fraktionssitzungen sind Kulturthemen verhaßt, zur komplizierten Zusammenführung der beiden Berliner Akademien Ost und West etwa fällt den Sozis außer Obstruktion nichts ein. Jede Sitzung der SPD-Fraktion, in der nicht über Kultur diskutiert wurde, berichtet Roloff-Momin, „erschien mir schließlich als Gewinn“.

Wenn sich Berliner Lokalmatadore doch einmal in der Kulturpolitik engagieren, handelt es sich um eher obskure Interventionen. So bedrängt während der Verhüllung des Reichstags durch Christo und Jeanne-Claude der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion den Kultursenator, doch bitte auf die eigensinnigen Künstler Einfluß zu nehmen. Die beiden hatten es kategorisch abgelehnt, die weltberühmten drei Tenöre vor ihrem Kunstwerk singen zu lassen.

Für die Hauptstadtpolitiker ist das nahezu einzige Kriterium in Kulturfragen die Kaufkraft, die das Treiben der Künstler in die wirtschaftlich anämische Stadt bringen soll. Diese kenntnisferne Standortpolitik frustriert den Kultursenator zunehmend. Richtig ernst für ihn wird es jedoch erst bei der Schließung des Schiller-Theaters.

Bei einer der notorischen Berliner Sparklausuren fordert der CDU-Finanzsenator Pieroth kurz vor Mitternacht: „Herr Roloff, Sie müssen das Schiller-Theater schließen.“ Der Kultursenator leistet Widerstand – bis ihm unerwartet ein SPD-Senator in den Rücken fällt. Nachdem sich sofort ein Sturm heuchlerischen Protestes gegen die Schließung des künstlerisch heruntergewirtschafteten Hauses erhebt, lassen ihn die Kollegen aus dem Senat elegant im Regen stehen – und Roloff-Momin gilt fürderhin als heimtückischer „Schiller-Killer“.

„Die Kultur ist für die Entwicklung unseres Gemeinwesens zu wichtig“, lautet das bittere Fazit des gescheiterten Kultursenators, „um sie weiterhin von den Politikern ausdörren zu lassen.“

Ulrich Roloff-Momin: Zuletzt Kultur